Das Schleswig-Holstein-Derby: Heiße Emotionen in Münchens Eisporthalle –
Der Super Cup 21. August 2012 (Live ab 19.45 auf Sport1)
Menschen, die sich eher wenig für Handball interessieren, erklärt man das schleswig-holsteinische Landesderby so: Kiel gegen Flensburg – das ist so wie Dortmund gegen Schalke oder Bayern gegen 1860 München. Der Nordschlager entlarvt die Rivalität beider Ostseestädte hemmungslos, elektrisiert die Fans und sorgt fast immer für Hektik und Spannung auf dem Spielfeld. Und einmal – als Gipfel der Derby-Dramaturgie – stand auf dem Parkett der Kieler Ostseehalle sogar die Polizei. Das war im Februar 2005. Der THW, mit einem siebten Feldspieler operierend, hatte acht Sekunden vor Schluss ausgeglichen, da sah Johnny Jensen, damals Kreisläufer der SG Flensburg-Handewitt, das verwaiste Kieler Tor. Zum Siegtreffer kam es nicht. Die Kieler Handball-Legende Stefan Lövgren stoppte den Gegenspieler in höchster Not unsanft. Der Gefoulte „revanchierte“ sich. Es bildeten sich Rudel, es gab Tumulte, Handgreiflichkeiten wurde ausgetauscht – und die Polizei marschierte auf.
Solch überzogene Situationen kommen im Handball praktisch nie vor. Aber die Bedeutung des Derbys haben die Spieler verinnerlicht. Auch diejenigen, die erst frisch das Trikot eines der beiden Klubs übergezogen haben. „Das ist ein ganz besonderes Spiel, das einen großen Kampf verspricht“, sagt Flensburgs Nationalspieler Jacob Heinl. „Auf dem Spielfeld spürt man die sportliche Rivalität, und jeder Spieler wird alles geben, um für den Verein und auch für die Stadt zu gewinnen“, freut sich THW-Ass Filip Jicha. Und der ehemaliger Kieler Manager Uwe Schwenker sagte einmal: „Wenn es die SG Flensburg nicht geben würde, müsste man sie erfinden.“ Konkurrenz belebt das Geschäft.
Der Super Cup in München wird als das 71. Derby in die Annalen eingehen. In den vergangenen 70 Begegnungen waren meist die Kieler der Goliath, die Flensburger der David. Nur 22 Mal behielt der Herausforderer die Oberhand. Zwischen Oktober 2002 und August 2005 herrschte allerdings ein anderes Bild: Da lagen die Flensburger auf der Überholspur, blieben neun Mal ungeschlagen und wurden 2004 deutscher Meister. Zuletzt büßten die Derbys sportliche Brisanz ein. Die „Zebras“ galoppierten mit ihrem Weltklasse-Team davon. Der letzte SG-Erfolg liegt bereits fünf Jahre zurück. Zwölf Niederlagen in Serie, zuletzt im Mai im Hamburger Pokalfinale, schlugen seitdem zu Buche. Aber wer weiß: Vielleicht endet ja südlich des Weißwurst-Äquators eine norddeutsche Serie.
Der THW Kiel Kader
Tr.-Nr. / Spieler / Position / Geb.-Datum / Länderspiele / Größe / im Klub seit
1 Thierry Omeyer TW 02.11.1976 268 FRA 1,91m 2006
12 Andreas Palicka TW 10.07.1986 36 SWE 1,89m 2008
7 René Toft Hansen KL 01.11.1984 49 DEN 2,00m 2012
9 Gudjon Valur Sigurdsson LA 08.08.1979 263 ISL 1,87m 2012
11 Christian Sprenger RA 06.04.1983 86 GER 1,90m 2009
13 Marcus Ahlm KL 07.07.1978 114 SWE 2,00m 2003
17 Patrick Wiencek KL 22.03.1989 23 GER 2,01m 2012
20 Christian Zeitz RR 18.11.1980 166 GER 1,86m 2003
24 Aron Palmarsson RM/RL 19.07.1990 55 ISL 1,92m 2009
25 Daniel Narcisse RL/RM 16.12.1979 224 FRA 1,89m 2010
31 Momir Ilic RL 22.12.1981 89 SRB 2,00m 2009
33 Dominik Klein LA 16.12.1983 149 GER 1,90m 2006
39 Filip Jicha RL 19.04.1982 130 CZE 2,01m 2007
41 Marko Vujin RR 07.12.1984 79 SRB 2,00m 2012
Der Trainer
Alfred Gislason (07.09.1959) ist gewiss einer der ganz Großen seiner Zunft. Er ist seit 2009 für den THW Kiel tätig und gewann bislang drei Mal die deutsche Meisterschaft und den DHB-Pokal sowie zwei Mal die Champions League. Seine früheren Trainer-Stationen: KA Akureyri (1991-1997), SG Hameln (1997-1999), SC Magdeburg (1999-2006) und VfL Gummersbach (2006-2008).
Der THW Kiel: Nach der perfekten Saison 2011/12
Ende Mai: In Konfettiregen und Feuerwerk von Köln war der neue Maßstab der Handball-Welt nur schwer zu erkennen. Dieser stand auf den Mützen, die sich die Spieler des THW Kiel unmittelbar vor der Siegerehrung aufgesetzt hatten: „Triple zwanzig zwölf“. Die „Zebras“ aus Kiel krönten nach deutscher Meisterschaft und DHB-Pokal ihre perfekte Saison mit dem insgesamt dritten Triumph in der Champions League nach 2007 und 2010. In insgesamt 56 nationalen und internationalen Pflichtspielen gab es nur eine Niederlage – in einem recht unbedeutenden Vorrunden-Spiel der Champions League. Besonders bemerkenswert: Der Rekordmeister stellte einen Rekord für die Ewigkeit auf: Die „Zebras“ marschierten mit 68:0 Punkten durch die Bundesliga und radierten ihre eigene drei Jahre alte Bestmarke (65:3) aus. Für viele Experten ist die aktuelle THW-Truppe die beste Vereinsmannschaft, die es je gegeben hat.
Aber was sind die Gründe für diesen Ausnahme-Erfolg? Zum einen sicherlich der enorme Titelhunger. „2011 waren wir nicht Meister, entsprechend haben wir die ganzen Monate hart gearbeitet“, erklärt Thierry Omeyer. Der französische Torwart ist schon seit Jahren eine Koryphäe seines Fachs. Vor ihm steht eine Verteidigung, die ab und an im 6:0-Verbund, mal im 3:2:1-System operiert und es dem Gegner durch den häufigen Wechsel schwer macht, sie wirklich zu verstehen, geschweige denn, zu durchschauen. Auffällig auch: die individuelle Klasse der Akteure. Mit Filip Jicha, Momir Ilic oder Daniel Narcisse tummeln sich im THW-Rückraum so viele Weltklasse-Spieler wie nirgendwo anders. „Wir haben aber nicht nur individuell sehr starke Spieler, wir sind auch eine stimmige Mannschaft“, betont Kapitän Marcus Ahlm immer wieder. In der Tat: Die „Zebras“ präsentierten sich in der letzten Serie äußerst eingespielt. Jeder wusste, was der Mitspieler machte. In den seltenen, engen Spielsituationen behielten allesamt einen kühlen Kopf. Für den Erfolg immer wichtig: Das Verletzungspech machte einen großen Bogen um die Mannschaft in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Und was wäre ein Weltklasse-Team ohne einen herausragenden Coach. Alfred Gislason arbeitet mit großer Akribie und Analytik. „Er ist ein typischer Isländer“, meint Marcus Ahlm. „Zu 90 Prozent ruhig, bei den anderen zehn Prozent wird er lauter – und das braucht die Mannschaft auch“.
In den letzten Wochen drehten sich die Gedanken von Alfred Gislason nicht mehr um den Triumphzug des Frühjahrs, sondern um die sommerliche Vorbereitung – und um ihre besonderen Voraussetzungen und Herausforderrungen, die die Olympischen Sommerspiele von London mit sich brachten. Zur ersten Übungseinheit nach den Ferien erschienen nur sieben Profis. Der Rest lief für Frankreich, Serbien, Dänemark oder Island in London auf und stieß erst vor rund einer Woche zum THW-Kader. Darunter mit dem Serben Marko Vujin, dem Isländer Gudjon Valur Sigurdsson und dem Dänen Rene Toft Hansen gleich drei der vier Neuzugänge. Lediglich Kreisläufer Patrick Wiencek absolvierte die komplette Testphase im Vereinsdress. „Für diese Spieler wird es nicht einfach, sich in unser System zu integrieren“, mahnt Marcus Ahlm zur Geduld mit den Neuzugängen. Glücklich ist Alfred Gislason über diese Konstellation nicht. Aber womöglich ist es nicht mehr als das Klagen auf hohem Niveau. Seine Spieler zumindest geben sich gelassen. Nach dem Super Cup und dem Bundesliga-Auftakt in Gummersbach reist der THW zum Super Globe nach Katar, einer Art Vereins-Weltmeisterschaft. „Diese Reise wird eine gute Geschichte, um nach den Olympischen Sommerspielen als Mannschaft zusammenfinden“, ist Linksaußen Dominik Klein überzeugt.
Der SG Flensburg-Handewitt Kader
Tr.-Nr. / Spieler / Position / Geb.-Datum / Länderspiele / Größe / im Klub seit
1 Mattias Andersson TW 29.03.1978 81 SWE 1,85m seit 2011
16 Sören Rasmussen TW 12.08.1976 39 DEN 1,93m 2010
3 Tobias Karlsson RL 04.06.1981 109 SWE 1,96m 2009
4 Maik Machulla RM 09.01.1977 12 GER 1,89m 2012
7 Anders Eggert LA 14.05.1982 93 DEN 1,79m 2006
9 Holger Glandorf RR 30.03.1983 155 GER 1,95m 2011
10 Thomas Mogensen RM 30.01.1983 88 DEN 1,87m 2007
11 Lasse Svan Hansen RA 31.08.1983 84 DEN 1,85m 2008
13 Steffen Weinhold RR 19.07.1986 27 GER 1,91m 2012
17 Petar Djordjic RL 17.09.1990 7 SRB 1,97m 2010
18 Morten Dibbert KL 19.10.1991 0 GER 1,95m 2012
21 Jacob Heinl KL 03.10.1986 25 GER 1,95m 1994
23 Malte Voigt LA 17.01.1993 0 GER 1,89m 2012
28 Lars Kaufmann RL 25.02.1982 131 GER 1,99m 2011
77 Michael Knudsen KL 04.09.1978 222 DEN 1,91m 2005
Der Trainer
Ljubomir Vranjes (03.10.1973) beendete 2009 seine Spieler-Karriere, fungierte zunächst als Co-Trainer und Team-Manager der SG Flensburg-Handewitt. Seit November 2010 sitzt der Schwede als Trainer auf der Bank und verlängerte seinen Vertrag aufgrund der sehr erfolgreichen letzten Serie bis 2017. Der Welt- und Europameister Vranjes, seit 2001 ein markantes Gesicht der DKB-Handball-Bundesliga, spielte zunächst für die HSG Nordhorn, ab 2006 für die SG Flensburg-Handewitt.
Der Herausforderer aus der Nachbarschaft : Die SG Flensburg-Handewitt
Es gab Zeiten, da gehörte eine Teilnahme am Super Cup für die SG Flensburg-Handewitt zum guten Ton. Auch 2005, als dieses Handball-Fest in München seine Premiere feierte, waren die Nordlichter beteiligt – als frischgebackener DHB-Pokalsieger. Seitdem verpassten sie allerdings regelmäßig die Qualifikation, genauso lange wartete die SG Flensburg-Handewitt auf einen Titel. Bis zum Frühjahr 2012. Die Schleswig-Holsteiner gewannen in der abgelaufenen Serie 2011/12 den Europacup der Pokalsieger und belegten in Meisterschaft und DHB-Pokal den zweiten Platz. Nun haben sie ein Luxus-Problem: Die Latte hängt hoch, die Erwartungshaltung im Umfeld ist gestiegen. Geht vielleicht noch mehr? „Das ist fast unmöglich“, wiegelt SG-Trainer Ljubomir Vranjes ab und meidet es, feste Platzierungen in den Mund zu nehmen. „Wir wollen uns weiterentwickeln. Das ist das Ziel aller Spieler, jeder hat noch Potenzial.“
In der Vorbereitung auf die Saison 2012/13 umfasste der Flensburger Kader konstant 15 Akteure – allerdings nur, weil mehrere Nachwuchsleute mitmischten. Sechs Olympia-Starter – vier Dänen und zwei Schweden –weilten indes bis zum vorletzten Wochenende in London bei den Sommerspielen. Froh war Ljubomir Vranjes, das er zumindest die beiden einzigen waschechten Neuzugänge durchgehend zur Verfügung hatte. Steffen Weinhold (TV Großwallstadt) ist Linkshänder, kann aber auch sehr gefällig als Spielmacher agieren. Ljubomir Vranjes ist sich sicher: „Auch wenn ihm noch etwas die internationale Erfahrung fehlt, wird er unsere Qualität erhöhen, da er auf mehreren Positionen einsetzbar ist.“
Das zweite neue Gesicht ist Maik Machulla. Der spielte zuletzt für den Zweitligisten ASV Hamm-Westfalen, kann aber auf eine lange Bundesliga-Karriere zurückblicken. 2001 gewann er mit dem SC Magdeburg sogar die deutsche Meisterschaft. Nun soll der 35-Jährige mit seiner Routine den etatmäßigen Mittelmann Thomas Mogensen entlasten. „Er weiß genau, was ich will“, erklärt Ljubomir Vranjes. Kein Wunder: Zwischen 2002 und 2006 trug er wie auch Maik Machulla gleichzeitig das Trikot der HSG Nordhorn.
Für einen Coach ist die Vorbereitung stets eine besondere Zeit. Dann geht es weniger um taktische Winkelzüge und Video-Analysen, sondern vielmehr um physische Komponenten, Kondition und die Integration der neuen Spieler. Wenn die alte Saison abgeschlossen ist, ist der Vorlauf der neuen Spielzeit bereits praktisch durchgeplant. Aber wirklich zur Ruhe kommt ein Ljubomir Vranjes nie. Auch in seinem Urlaub kann er nicht richtig abschalten. „Ich denke immer über Handball nach, das ist ja mein Leben“, sagt der 38-Jährige und verrät: „Manchmal sitze ich mit meiner Familie am Tisch, schaue mir den Teller an und mir fällt allein wegen der zufälligen Anordnung der Kartoffeln ein neuer Spielzug ein, den ich unbedingt ausprobieren möchte.“
Wie dem auch sei: Eine Kampfansage an den zuletzt übermächtigem THW Kiel ist aus der „Tellerleserei“ bisher nicht erwachsen. „Ich schaue nicht auf den THW. Es gibt nur eine Mannschaft, die mich interessiert – und das ist meine“, stellt Ljubomir Vranjes klar. Vor Anpfiff des Super Cups wird er mit Sicherheit nicht die Flinte ins Korn werfen. Vielleicht dient ja ein Blick zurück ins Jahr 2000 als gutes Omen. Damals gewannen die Flensburger den Super Cup und schnappten sich so den ersten Titel der Saison. 20:19 hieß es damals in Hannover. Gegner war niemand anderes als der THW Kiel. Allerdings waren vor zwölf Jahren die ersten Bundesliga-Spieltage den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney vorgeschaltet, nun beginnt die neue Spielzeit direkt nach dem sportlichen Großereignis von London. Man darf gespannt sein.
Der Heimkehrer: Steffen Weinholds Stippvisite in der Heimat
Ein Lächeln huschte Steffen Weinhold in den letzten Tagen immer wieder über das Gesicht, wenn er an den Super Cup dachte. „Es ist zwar etwas ungewöhnlich für ein Spiel zwischen Flensburg und Kiel nach München zu reisen“, sagte der Linkshänder der SG Flensburg-Handewitt. „Aber ich freue mich auf den nächsten Besuch in meiner bayrischen Heimat.“ Er stammt aus Fürth und legte aufgrund dieser Nähe schon häufiger die anderthalb Stunden nach München zurück, um Freunde oder auch den Englischen Garten zu besuchen. Oder um dem Oktoberfest und dem Fußball in der Allianz-Arena beizuwohnen. „München ist eine Stadt, die von einer besonderen Kombination lebt“, erklärt der Handballer. „Dazu gehört die Nähe zu den Bergen und den Seen im Umland der Stadt.“
In seiner Profi-Zeit hat er allerdings noch nie in der Bayern-Metropole gespielt. Überhaupt betrat Steffen Weinhold in den letzten Wochen Neuland. Er ist an der Grenze zum Königreich Dänemark gelandet – bei einem skandinavisch geprägten Klub. „Die Art, wie bei der SG gespielt und trainiert wird, gefällt mir“, sagt der Franke. Mit Ljubomir Vranjes hat in Flensburg ein Schwede die Zügel fest in der Hand. Es ist nicht das erste Mal, dass Steffen Weinhold unter einem schwedischen Coach zu agieren hat. Ola Lindgren hieß sein Coach bei der HSG Nordhorn, zu der er 2007 gewechselt war und mit der er 2008 den EHF-Cup gewann. Der heute 26-Jährige weilte nur zwei Spielzeiten an der holländischen Grenze, schwärmt aber noch immer von der Zeit. „Mannschaft, Training, Trainer, Fans, Umfeld – die Atmosphäre hat gepasst, um sich weiterentwickeln zu können“, erzählt er. Die Erwartungen, die den Transfer nach Flensburg begleiteten, sind aber ganz andere als vor einer halben Dekade. Zwar hat Steffen Weinhold noch kein internationales Großturnier bestritten, aber die 27 Länderspiele, die sich inzwischen angesammelt haben, signalisieren, dass er einen festen Platz im Notizbuch von Bundestrainer Martin Heuberger einnimmt. Dagegen war er 2007, bei seinen ersten Bundesliga-Schritten in Nordhorn, ein Talent, das sich vorwerfen lassen musste, den Übergang in den Profi-Handball fast verschlafen zu haben. Mit 20 Jahren war Steffen Weinhold schon Junioren-Europameister, schätze aber zugleich die fränkische Geborgenheit beim heimischen Regionalligisten HC Erlangen. „Ich hätte wohl ein oder gar zwei Jahre früher den Sprung zu einem Zweitliga-Klub wagen sollen“, räumt er heute ein.
Es wäre aber verfehlt, ihn als Spätzünder zu bezeichnen. Schon mit sechs Jahren kam er erstmals mit dem Handball in Berührung. Eher ungeplant: Beim TSV Altenberg, vor den Toren Fürths, trat der Junge den Fußball, während seine ältere Schwester zeitgleich Handball-Training hatte. Danach holte die Mutter immer beide Kinder gemeinsam ab. Doch einmal fiel das Fußballtraining flach, und der Handball eignete sich als ideale Ersatzbeschäftigung. Es muss ein putziges Bild gewesen sein, als der kleine Steffen allein unter Mädchen über den Hallenboden tobte und danach strahlte: „Handball ist toll, das möchte ich jetzt auch machen.“ Schnell hatte er einige Klassenkameraden begeistert, eine Jungen-Mannschaft bildete sich. Langfristig erwies sich die Umorientierung als der richtige Schritt für Steffen Weinhold: Mit 16 Jahren tauchte sein Name erstmals in einem DHB-Kader auf. Als er kurz darauf in Erlangen in den Männerbereich schnupperte, musste der Linkshänder auf Rechtsaußen aushelfen. Eine gewisse Vielseitigkeit deutete er auch im April an, als er beim Länderspiel in Flensburg als Spielmacher eine gute Figur machte. „Er hat besondere Qualitäten“, weiß Ljubomir Vranjes. Am wohlsten fühlt sich Steffen Weinhold aber im rechten Rückraum. Auf dieser Position wirkte er auch in den letzten drei Jahren beim TV Großwallstadt.
In seiner neuen Wahlheimat Flensburg hat er festgestellt, dass er ein neues Hobby braucht. „Um zum Skifahren in die Berge zu fahren, ist es etwas weit“, plaudert Steffen Weinhold. Aber womöglich wird ihm die nötige Freizeit ohnehin fehlen. Mit der Champions League wartet auf ihn eine größere zusätzliche Belastung. Einen ersten Vorgeschmack bringt nun der Super Cup in München. Für den Neu-Flensburger eine Premiere, bei der die Trauben hoch hängen. „Der THW Kiel ist der absolute Überflieger der letzten Saison“, betont Steffen Weinhold. „Wir hatten sechs Spieler bei den Olympischen Spielen und nur eine Woche Zeit, um uns gemeinsam vorzubereiten. In Kiel war die Situation zwar ähnlich, aber dort hat man den breiteren Kader.“
Marcus Ahlm: Abschied vom Super Cup
Mitte Juli, Saisonstart im hohen Norden: Ein weiterer Regenschauer kündigte sich im Ostholsteinischen an, als der Blick von Marcus Ahlm über die Anlage des Golf-Clubs in der Hohwachter Bucht schweifte. In Nostalgie verfiel der Kapitän des THW Kiel nicht. Aber er wusste: Er würde letztmals dem traditionellen Auftakt zur Saison-Vorbereitung beiwohnen. Der Schwede geht in sein zehntes und letztes Jahr beim deutschen Rekordmeister, dann – so ist es geplant – wird er in sein Heimatland zurückkehren.
Sicherlich wird es im nächsten Sommer eine Abschieds-Gala geben und sein Konterfei dann neben dem anderer Handball-Legenden unter dem Hallendach hängen. Einen besonderen Wunsch für seine Abschieds-Serie hat Marcus Ahlm allerdings bislang nicht geäußert. „Titel kann man sich nicht wünschen, die muss man sich erarbeiten“, sagt er und ergänzt: „Ich möchte einfach nur jedes Spiel gewinnen.“ Kurzum: Siege sollen auch zum Abschluss seiner THW-Dekade Normalität bleiben. Schon jetzt ist seine Bilanz schillernd. In sieben seiner neun Jahre ging die deutsche Meisterschaft nach Kiel, fünf Mal sprang der DHB-Pokal heraus, und sage und schreibe drei Mal errang der THW die „Krone“ der Champions League mit Marcus Ahlm. Erstaunliche Züge, die die Karriere angenommen hat. Zu rechnen war kurz vor der Jahrtausendwende damit keineswegs. „Ich hatte keinen harten Wurf, keine Sprungkraft und keine Schnelligkeit“, berichtet der Zwei-Meter-Mann von bescheidenen Anfängen. „Da gab es keine Alternative zum Kreis.“ Aber selbst dort war er zunächst nicht unbedingt erste Wahl. Als 18-Jähriger erlebte Marcus Ahlm die schwedische Liga bei seinem südschwedischen Heimatklub IFK Kristianstad zumeist nur als Abwehrspieler. Schon bald zog es ihn für ein Studium als Chemie-Ingenieur nach Göteborg. Sportliche Ambitionen? Keine! Doch der Zufall wollte es, dass der Göteborger Klub Alingsas HK einen Linksaußen aus Kristianstad verpflichtete – und Marcus Ahlm im „Paket“ mitnahm. Der Kreisläufer blieb im „Geschäft“ und feierte die Silber-Medaille bei der Junioren-Weltmeisterschaft 1999 als Reservist. Der Durchbruch gelang ihm schließlich bei Ystad IF. Die ersten von insgesamt 114 Länderspielen stellten sich ein.
Im Frühjahr 2002 plötzlich ein entscheidender Anruf – der THW Kiel. Schnell wusste Marcus Ahlm, dass es keine Alternative zu einem Wechsel nach Schleswig-Holstein geben würde. „Die Trainings-Möglichkeiten in Kiel sind optimal“, analysierte der Chemiker. „Eine sehr gute Chance, sich weiterzuentwickeln.“ Doch Ystad IF sperrte sich gegen eine vorzeitige Vertragsauflösung, pochte auf eine Erfüllung bis 2003. Die geforderte Ablösesumme schoss in die Höhe, bis der Kreisläufer das Prädikat „unverkäuflich“ erhielt. Marcus Ahlm und die Kieler mussten sich ein Jahr gedulden. „Die Saison 2002/2003 war komisch“, erinnert sich der 27-Jährige. Er hat damals oft bei der Geschäftsführung des schwedischen Klubs um die Freigabe gebeten. Als „Komet“ der „Elitserien“ schaffte Marcus Ahlm auch in der Bundesliga schnell den Durchbruch. Bald war er einer der Leittiere bei den Kieler „Zebras“. Im Sommer 2009 übernahm er das Kapitänsamt. Ein Posten, der mehr Würde als Bürde sei, sagt Ahlm, und keine Belastung für das Geschehen auf dem Spielfeld. „Wir haben viele Spieler, die gerne Verantwortung übernehmen.“ Der Kreisläufer, zugleich Stütze der Abwehr, macht das aber etwas mehr als andere. Er identifiziert sich voll mit seinem Klub. „Wenn ich in Kiel mit dem Handball aufhöre“, erklärt er, „ist für mich dieses Kapitel längst nicht beendet. Nach so langer, intensiver und erfolgreicher Zeit werde ich immer mit dem THW verbunden bleiben.“
Intensiver möchte Marcus Ahlm noch nicht in die Zukunft schweifen. Zunächst stehen der Saisonstart und der Super Cup im Vordergrund. „In München erwartet uns das erste Pflichtspiel“, weiß er. „Außerdem ist der Super Cup eine sehr gute Gelegenheit, uns einzuspielen. Nach den Olympischen Spielen müssen wir jede Gelegenheit dazu nutzen, die Abstimmung in unserem Team zu verfeinern – auch wegen der vier Neuzugänge.“
Die Super-Cup-Finals auf einen Blick
2012: THW Kiel – SG Flensburg-Handewitt 29:26
2011: THW Kiel – HSV Hamburg 24:23
2010: THW Kiel – HSV Hamburg 26:27
2009: THW Kiel – HSV Hamburg 28:35
2008: THW Kiel – HSV Hamburg 33:28
2007: THW Kiel – Rhein-Neckar-Löwen 41:31
2006: THW Kiel – HSV Hamburg 35:39
2005: THW Kiel – SG Flensburg-Handewitt 36:34
2004: SG Flensburg-Handewitt – HSV Hamburg 24:25
2003: TBV Lemgo – SG Flensburg-Handewitt 32:28
2002: THW Kiel – TBV Lemgo 27:34
2001: SC Magdeburg – SG VfL Bad Schwartau 28:25
2000: THW Kiel – SG Flensburg-Handewitt 19:20
1999: THW Kiel – TBV Lemgo 24:25
1998: THW Kiel – TV Niederwürzbach 22:20
1997: TBV Lemgo – SG Flensburg-Handewitt 35:33 n.V.
1996: THW Kiel – SC Magdeburg 23:26
1995: THW Kiel – TBV Lemgo 27:24 n.V.
1994: THW Kiel – SG Wallau/Massenheim 20:24
Quelle: HBL Pressemitteilung